Mein persönliches Resümee über ein Jahr logopädischer Arbeit mit covidbedingten Änderungen.
Lockdown: alles steht still, persönliche Begegnungen sind nicht erlaubt, nach der ersten Phase, die viele, auch ich als angenehme Unterbrechung des intensiven Alltags empfunden haben, begann eine Neuorientierung, wie mit dieser Situation umgegangen werden kann.
Therapien? Coachings? Buchpräsentationen? Seminare? Workshops?
Alles abgesagt.
Wie geht es weiter? Was kann ich tun?
Ich kann mich im Netz neu präsentieren! Und da ich gerne schreibe, habe ich einen logopädischen Blog ins Leben rufen, der durch einen Newsletter angekündigt wird und auf meine, im Sommer 2020 neu erstellte, Website verlinkt. Die ersten technischen Herausforderungen kamen auf mich zu, denn die Programme Mailchimp und WordPress waren Neuland für mich.
Erstes Resümee: Es war zu schaffen und macht mir nach wie vor sehr viel Spaß!!
Der persönliche Kontakt zu meinen Patientinnen/Patienten/ Klientinnen /Klienten ist als Logopädin unerlässlich.
Wie kann ich diesen aufrechterhalten?
Durch ZOOM Meetings. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich SKYPE gekannt, aber ZOOM war für mich neu.
Doch da kam Arno Fischbacher! Er ist, gemeinsam mit Ingrid Amon, Präsident von stimme.eu und hat für uns Mitglieder eine interne Akademie via ZOOM ins Leben gerufen. Einmal pro Monat hat er uns hervorragend unterstützt mit seinem fundierten technischen Wissen und tut dies noch immer. Er berät und geleitet uns durch die neuen Modi unseres Stimmtrainings Alltags.
Wir haben unter anderem gelernt:
- ZOOM zu installieren
- die Chatfunktion handzuhaben, den Bildschirm zu teilen, Gruppen für Webinare zu bilden,….
- alles über das technische Equipment, wie Beleuchtung, Mikros, Schallwände,….
- die Art und Weise, wie wir uns bei der virtuellen Präsentation in ein gutes Licht setzen
Und wir waren froh, dass wir in dieser neuen Situation nicht alleine waren, und durch Gleichgesinnte Unterstützung und Austausch erfahren haben. Wir haben von Arno, aber auch von einander sehr viel gelernt!
Voll motiviert und technisch aufgeklärt, habe ich, neben analogen, die ersten virtuellen Sitzungen mit November 2020 gestartet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich sehr wenig analoge Coachings oder Therapien, weil die Patientinnen/Patienten/ Klientinnen /Klienten nur zögerlich Therapien wahrgenommen haben. Die Unsicherheit und Furcht vor Ansteckung saß doch sehr tief.
Was gab/gibt es für Schwierigkeiten bei virtuellen Einzel-Sitzungen:
+ Der Beginn der Sitzung funktioniert nicht immer, denn der ZOOM link kommt beim Empfänger nicht rechtzeitig an, die Internet Verbindung ist instabil, ZOOM ist nicht installiert, und nach längerem Ausprobieren und Warten, ist der Umstieg auf WhatsApp Videotelefonie, der letzte, aber rettende Ausweg um die Sitzung nach teils 20 minütiger Verspätung, doch stattfinden lassen zu können.
+ Die technische Übertragung der einzelnen Stimmübungen ist für mich eine Herausforderung, da mein Laptop die Stimmübertragung nach ein paar Sekunden abregelt (was ich aber erst seit ein paar Tagen weiß. Ich dachte, das ist einfach so) Das heißt: ich höre den Beginn des Stimmeinsatzes und kann teilweise nur erahnen, wie der Stimmverlauf sich weiter präsentiert. Da hilft mir meine jahrelange Interaktion mit StimmpatientInnen.
+ Atemübungen, Körperübungen, sowie Entspannungsübungen funktionieren verständlicher Weise nur bedingt, aber besser als von mir angenommen.
+ Die Herausforderungen bei sprechtechnischen bzw. myofunktionellen* Therapien war/sind die therapeutischen Hilfsmittel. Material, das ich den Patientinnen/Patienten/ Klientinnen /Klienten normalerweise IN der Sitzung zur Verfügung stelle und natürlich auch mitgebe, musste ich nun per Post verschicken. Oft schon früher als es in den Therapieeinheiten Anwendung fand und beim Öffnen der Kuverts im virtuellen Setting, so manche Fragezeichen auf die Stirn meiner PatientInnen gezaubert haben. So oft wie in dieser Zeit war ich schon lange nicht auf der Post!
+ Meine Patientinnen/Patienten/ Klientinnen /Klienten erhalten IN der analogen Therapie das aktuelle Übungsprogramm sofort von mir individuell aufgeschrieben. Online würde dies meine Aufmerksamkeit vom Patientinnen/Patienten/ Klientinnen /Klienten ablenken und so dauert die Nachbereitung um Vieles länger. Ich gieße die Zusammenfassung der Übungen ausführlich beschrieben, damit auch effektiv geübt werden kann, in ein Word Dokument. Dieses wird in ein PDF umgewandelt, mit Honorarnote als PDF im Anhang der Mail angeheftet. Unter 20 Minuten pro Patient schaffe ich es kaum. Dies bedeute, dass meine Arbeitszeit von normalerweise 70Minuten pro Pat. auf 90 Minuten pro Pat. gestiegen ist.
+ So flexibel ich agieren musste, so intensiv war der administrative Aufwand. Die Absagen von Seminaren oder Buchpräsentationen, die Verschiebungen von Workshops auf unbestimmte Zeit, zogen viel Mailverkehr und Telefonate nach sich. Damit diese Veranstaltungen stattfinden, werden viele weitere Kontaktaufnahmen folgen.
„Ausgesprochen gut!“ ist ausgesprochen gut!
Mein Sprechtechnik-Buch hat sich in dieser Zeit wieder einmal als Segen herausgestellt, denn so rasch wie man damit von einem Trainingslaut zum anderen wechseln kann, können keine kopierten Zettel der Welt mithalten. Und durch die umfassende Aufbereitung der Trainingslaute, konnte ich auch virtuell rasch zum Therapieziel gelangen. Die Nachfrage danach hat mich auch oft zur Post geschickt..
Zu den positiven Aspekten der virtuellen Therapie:
+ Meine Patientinnen/Patienten/ Klientinnen /Klienten mussten früher als bei analoger Therapie, ihre Selbstwahrnehmung schärfen. Sie mussten mir ihre Stimmparameter verbal beschreiben und kamen damit rascher in eine Selbstreflexion, die in der Stimmarbeit so und so einen großen Anteil ausmacht.
+ Viele Klientinnen und Klienten, haben die virtuelle Therapiemöglichkeit sehr befürwortet, kannten sie sie doch durch die Homeoffice Situation
+ Durch die Homeoffice Situation konnte ich mit meinen Coachings unmittelbar die Situation für ZOOM Meetings unterstützen. Denn ich sah die Sitzhaltung, hörte den Sprecheinsatz, die Lautstärke, das Räuspern und konnte so 1:1 beraten.
+ Für sprechtechnische Übungen, wie zum Beispiel das Üben der Laute „P“ oder „PF“ war der virtuelle Raum von Vorteil, da man trotz intensiver Aussprache auf beiden Seiten vor Aerosolen gut geschützt war. Dasselbe galt auch für das Tönen oder Singen.
+ Ein nicht zu verachtender Vorteil ist die Zeitersparnis, da ich mein Studio und alle Räume und Dinge, die von Patienten benützt werden, nicht desinfizieren muss. Da auch für meine Patientinnen/Patienten/ Klientinnen /Klienten die Anreise wegfiel/-fällt, konnten auch rascher Therapietermine gefunden werden.
+ Ortsungebundenheit: ein Klient hatte sich unvorhersehbar im Ausland befunden. Früher hätte die Therapiesitzung abgesagt werden müssen, aber durch das ZOOM Meeting konnte sie doch stattfinden.
Mein Resümee virtueller Therapien:
+ Therapien, die VOR den Lockdowns analog begonnen wurden, liefen auch virtuell recht gut weiter
+ Erstsitzungen analog abzuhalten, hat sich für die weiteren teils virtuellen Sitzungen als sehr hilfreich erwiesen. Natürlich getestet, mit Abstand, mit Maske, Desinfektion und mit intensivem Lüften.
+ Es kam aber jede Therapie an einen Punkt, wo ein neuerliches analoges Treffen notwendig war.
+ NUR virtuelles Arbeiten funktionierte am wenigsten. Es hat gezeigt, dass der persönliche Erstkontakt unumgänglich ist und die weitere Arbeit für mich erleichtert.
Herausforderungen bei Stimmseminaren:
Ich habe mich sehr gefreut mein Stimmseminar „ Keine Angst vor der Maske!“ für das Wifi Wien abzuhalten. Doch die Übertragungstechnik war eine Herausforderung. Ein neues virtuelles Format, das vermeintlich gut beschrieben wurde und mit Übungssetting zum Kennenlernen war, doch in der Praxis hat es nicht funktioniert. Alles sollte automatisch übermittelt werden, was auch nicht geklappt hat und so habe ich erst 5 (!) Minuten vor Seminarbeginn meinen virtuellen Raum zugewiesen bekommen. In Realität bin ich bei meinen Seminaren 1(!) Stunde im Voraus da um alles vorzubereiten. Gott sei Dank hat ein, mit diesem Programm erfahrener, Wifi Trainer mein Seminar gebucht und leitete mich durch die technischen Mäander. Trotz des positiven Feed Backs der TN, blieb für mich der Beigeschmack der Unprofessionalität zurück. Aber man lernt ja nie aus!
Ganz anders meine Buchpräsentation, die ich für die ARGE Wirtschaftsfrauen , ein seit über 25 Jahren bestehendes Frauennetzwerk, halten durfte! Schon geübt in ZOOM Meetings, klappte alles doch sehr gut und ich konnte die Teilnehmerinnen von der Wirksamkeit deutlichen Sprechens für die Stimme überzeugen. Es war meine erste Buchpräsentation überhaupt, denn die für 2020 vereinbarten Termine fielen leider den Lockdowns zum Opfer.
Wer waren bzw. sind denn die Menschen, die mir letztes Jahr ihr Vertrauen geschenkt haben?
- Eine Biologie Professorin, die von ihrer Kieferorthopädin zur myofunktionellen* Therapie geschickt wurde und ihre Sprache für den Unterricht schärfen wollte
- Eine Juristin, die für ihren zukünftigen Podcast ein Podcast Training gesucht hat und nach unserem Training weitermachte, da ihre Stimme von den vielen ZOOM Meetings so müde wurde
- Eine transidente Person, die ihre Stimme verweiblichen möchte
- Ein Poetry Slammer, der seine Sprache und Stimme bühnentauglicher trainieren möchte
- Ein Projektleiter, dessen Stimme schon vor Corona Zeiten durch die vielen Besprechungen abends heiser und unbelastbar war und der dies ändern wollte
- Eine Labortechnikerin, die ihre Sprechschüchternheit für ihre Abschlussprüfungen und Bewerbungsgespräche minimieren wollte
- Ein indonesischer Student, der sein Deutsch akzentfreier sprechen möchte
- Eine Musikprofessorin, die nach ein paar Jahren Stimmtherapie Pause, wieder zu einem „Stimmservice“ kam
- Eine Kollegin, die nach ihrer schweren Covid Erkrankung, durch die extremen Hustenanfälle und die eingeschränkte Atemtätigkeit stimmlich schwer angeschlagen, zur Stimmtherapie kam. Zitat: „Ich war froh, wieder an die Basics der Stimmtherapie erinnert zu werden. Es hat mir wieder einmal gezeigt, wieviel Unterstützung Logopädie in dieser Hinsicht bieten kann“
- Eine Universitätslektorin, die ihre Sprache ZOOM tauglich und prägnant trainieren möchte
- Eine junge Studentin, die, aufgrund der Sprechbelastung bei einer Teststraße, eine Stimmschwäche bemerkt hat, die auch auf ihre Singstimme negativen Einfluss hat
Mein ganz persönliches Resümee:
Ich bin von virtuellen Therapien sehr angetan, sofern die teils/teils Variante möglich ist. Der große Vorteil zu den früheren (nicht gut angenommenen) Skype Konferenzen ist, dass fast jeder im letzten Jahr mit ZOOM Meetings zu tun bekommen und die Scheu vor dieser Art der Kommunikation verloren hat. Ich hätte mir das schon früher für meine SchauspielerInnen oder SängerInnen gewünscht, die die Zusammenarbeit oft beenden mussten, da sie in eine andere Stadt, ein anderes Land engagiert wurden. Jetzt könnten wir via ZOOM weiterarbeiten.
Auch unser Berufsverband hat auf der Berufsverband Website auf diese neue Art der Therapiemöglichkeit reagiert: Neben jeder Kollegin/Kollegen, die/der virtuelle Therapie anbietet, wurde der Button „Teletherapie“ eingearbeitet. Und die erste logopädische Bachelorarbeit zum Thema „Teletherapie“ ist auch schon im Entstehen.
Die Ortsungebundenheit ist ein großer Vorteil! Nicht nur für die PatientInnen sondern auch für die Therapeuten.
Die persönliche Begegnung ist in der logopädischen Arbeit unumgänglich, doch werde ich virtuelles Training auf jeden Fall weiterhin anbieten, denn die Kombination der beiden Varianten hat in vielen Fällen gut funktioniert.
*Myofunktionelle Therapie (MFT) ist die Behandlungsmethode der Mundwerkzeuge und deren physiologischer Funktionen.
Hochachtung, das war ein sehr intensives, arbeitsreiches Jahr für dich!
Analoge- oder/und Teletherapie, die Kombination kann es ausmachen und man kann viel Unterstützungsarbeit über diesen Weg schaffen. Vielen jungen Eltern, deren Kleinkinder plötzlich massiv zu stottern begannen, konnte ich über diesen Weg gut beraten.
Gleichzeitig muss ich zugeben, dass jetzt langsam die Zeit wieder anbricht, in der mehr persönliche Kontakte im Therapieraum stattfinden können. Darauf freue ich mich sehr.
Ja, auf die persönlichen Begegnungen freue ich mich auch schon!
Danke für deine Einblicke! Ich habe nur in den ersten 2-3 Monaten des Lockdowns Tele- Therapie gemacht. Bis auf 2 oder 3 Patienten sind danach alle wieder persönlich gekommen, wobei ich fast immer Maske trage und eine Plexiglasscheibe als Schutz aufgestellt habe. Da ich viel mit Kindern arbeite, bin ich darüber sehr froh, ist doch mit diesen Therapie über Zoom recht schwierig. Dennoch ist es gelungen, bei einem Mädchen -mit viel Mitarbeit der Mutter! – einige phonologische Prozesse zu behandeln – fast nur online! Das hat mich sehr gefreut, war aber die Ausnahme 🙂
Toll, unter welchen Bedingungen wir zu Erfolgen kommen!!
Liebe Sanne,
ja, was für ein Jahr! So viele gut erprobten Abläufe und Gewohnheiten wurden auf einen Schlag durcheinandergewirbelt und radikal in Frage gestellt.
Mit großem Vergnügen habe ich Deine Rückschau und Reflexion gelesen, in vielen Momenten habe ich schmunzelnd genickt – auch ich habe, trotz aller Technik-Affinität, einige Schrecksekunden beim 100%igen Umstieg auf Online erlebt.
Danke für Dein tolles Feedback zur stimme.eu-Akademie. Die große Resonanz dieser Initiative innerhalb unseres Expertennetzwerks hat wieder einmal gezeigt, wieviel Kraft im gemeinsamen Handeln liegt. Und wieviel Spaß und Lust an der Weiterentwicklung entstehen kann, ungeachtet all der teils dramatischen Rahmenbedingungen.
Danke, dass Du uns an Deinen Erfahrungen teilhaben lässt. Es ist einfach schön, Dich und Deine Kompetenz im Netzwerk zu wissen!
Arno
Herzlichen Dank für Dein so nettes und wohlwollendes Feedback!